Lebendige Geschichte
Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Wohnzimmer von Komponistin Na’ama Tamir Kaplan in Tel Aviv, es ist Sabbat und die frühmorgendliches Sonne taucht die Stadt schon jetzt in ein gleißendes Licht. Vorrecherche, Teil 2: Kurztrip nach Israel, Sightseeing, Kontaktpflege, Zeit mit Menschen verbringen, die vor nicht allzu langer Zeit innerhalb weniger Tage zu Freunden geworden sind.
Es ist mein erster Besuch in Israel und was ich in den wenigen Tagen seit meiner Ankunft gesehen habe, fasziniert mich überaus.
Allem voran: Jerusalem – die Stadt der Gegensätze, die sich mir gegenüber doch viel freundlicher gezeigt hat, als es von all jenen aus Familien- und Freundeskreis prophezeit wurde, die vor mir dort waren. “Du übernachtest in der Altstadt – da sind die Spannungen sofort spürbar.” “In Israel war ich echt froh, so viele Soldaten mit Gewehren zu sehen, das hat mir ein Gefühl der Sicherheit gegeben.” “Versuch’ erst gar nicht, die Stadt begreifen zu wollen.” Die ersten beiden Aussagen kann ich so nicht unterschreiben. Und wie will man eine Stadt nach zwei Tagen begriffen haben?
An den Nahost-Konflikt muss ich mich tatsächlich immer wieder selbst erinnern. Im Hinterkopf ist er natürlich präsent – all die Orte, die man sonst nur in den Nachrichten sieht, liegen ganz real vor einem. Erinnerungen an Berichte von Anschlägen, von Bomben, von Auge um Auge, Zahn um Zahn kommen auf. Erstaunlicher Weise fühle ich aber so gut wie keine Spannungen. Ob es an den mangelnden Sprachkenntnissen liegt, einfach naiv genießend durch die überaus pittoreske Stadt laufen zu können, statt Gewehren oder Worten als Waffen nur die Kamera im Anschlag?!
Wie in Rom ist auch in Jerusalem die Dichte der historisch wichtigen Orte und Gebäude einfach überwältigend. Einmal um die Ecke gegangen, schon steht man vor der Davidszitadelle (die König David einst fälschlicherweise zugesprochen wurde), befindet sich an der Klagemauer, sieht die goldene Kuppel des Felsendoms, läuft zufälligerweise vor die Grabeskirche und durchläuft innerhalb eines Quadratkilometers mehrere Jahrtausende lebendige Geschichte.
Die Vorstellung, an jenem Ort zu sein, an dem und durch den unsere Kulturgeschichte der letzten Jahrtausende geprägt wurde und noch immer geprägt wird, fordert mich. Darüber hinaus ist es ein seltsames Gefühl, durch einige der allerheiligsten Orte der drei abrahamitischen Religionen zu spazieren – Klagemauer, Grabeskirche, der Vorplatz des Felsendoms war leider für Nicht-Muslime gesperrt – und dabei in bester Disneyland-Manier mit den Massen zu strömen. Touristen und Pilger einmütig nebeneinander. Und wie soll bitte auch nur ein Hauch Ergriffenheit aufkommen, wenn einem, zum Beispiel, die im Tonfall durchaus herben Mönche an Jesu Grab vielleicht 30 Sekunden lassen, ehe sie einen wieder aus dem winzigen Gewölbe wieder verscheuchen. So schnell haben sich die Augen noch nicht einmal an das Schummerlicht der Kerzen gewöhnt. Oder die Flughafen-Anmutung, wenn Sicherheitsscanner jede Tasche durchleuchten, ehe man den Platz vor der Kotel, der Klagemauer, betreten darf.
Die Stadt selbst habe ich in dieser kurzen Zeit eher als ein – wenn vielleicht auch nicht Mit-, dann doch zumindest als ein friedliches Nebeneinander der Kulturen empfunden. Ein wenig mag das auch am Festival “Light of Jerusalem” gelegen haben, das am Tag meiner Ankunft eröffnet wurde. Lichtinstallationen quer durch die ganze Altstadt. Musikgruppen, ob Jazz, Singer-Songwriter oder traditionell angehaucht, die in regelmäßigen Abständen die Installationen untermalen. Ein fröhliches, friedliches, gemeinsames Genießen von Kultur und sinnlichen Eindrücken von all den unterschiedlichen Gruppen, die es in dieser bezaubernden Stadt gibt. Dass es so nicht immer ist, ist mir durchaus bewusst. Und doch gibt diese Atmosphäre einen Ausblick darauf, was sein könnte: ein gelebter Gruß – שלום – Shalom – سلام – Salam. Frieden.
Wie schön wäre es , wenn es so einfach wäre…